Lübbecke(mr/sl). Kübra und Ann-Christin sind nach einem dreiwöchigen Praktikum wieder den ersten Tag in der Schule. Für die beiden Neuntklässerinnen und ihre Mitschüler bleibt keine Zeit zum Ausruhen. Trotzdem gehen sie mit Elan an die Arbeit: Nach einem Präsentationstraining am Vormittag werden sie am Abend ihr Praktikum vor den Eltern präsentieren. Mit dabei sind Fachleute aus der Wirtschaft, die zu den Themen Einstellungschancen, Bewerbung von Schulabsolventen den Eltern Rede und Antwort stehen.
Um 19 Uhr war es dann so weit: Die Präsentationen werden abwechslungsreich vor den Eltern präsentiert. Patzer gibt es trotz der Aufregung keine. „Im Praktikum musste ich schon mal putzen und aufräumen“, erklären einige der Praktikanten. Trotzdem will es keiner missen, auch wenn es nicht immer den Erwartungen entsprach. „Es war sehr interessant, aber nach Klasse 10 werde ich weiter versuchen, Abi zu machen“, ist ein häufig genanntes Fazit.
Herr Gottlieb, Ausbildungsleiter bei Harting bleibt ganz gelassen: „Gegen den Versuch einen höheren Abschluss zu erreichen, ist zunächst einmal nichts einzuwenden, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Ausdrücklich weist er allerdings darauf hin, dass auch im Rahmen der dualen Berufsausbildung das Fachabitur erreicht werden könne: Zusatzlehrgänge an Berufskollegs ermöglichten dies.
Ob mit oder ohne Abitur, Oliver Neuhaus, Schulleiter der Akademie für Gesundheitsberufe in Minden, weist darauf hin, dass die Realschulabsolventen in den Pflegeberufen die gleichen Chancen wie die Abiturienten hätten. Allerdings sollten die Noten im Abschlusszeugnis mindestens „befriedigend“ sein. Dr. Holger von der Emde, Geschäftsführer bei den Ornamin-Kunststoffwerken in Minden stellt klar, dass bei Interessenlosigkeit und fehlendem Eigenantrieb auch der Besuch der Kollegschulen als vermeintlich bequemere Alternative zur Ausbildung keine Lösung sei.
Unmittelbar im Anschluss an den Praktikumsabend geben der Kirchenkreis mit einem Team unter der Leitung von Edith Meier-Heßlau, die Stadt Lübbecke und Smurfit Kappa einen Einblick in den Berufsalltag von Erzieher und Erzieherinnen, Verwaltungsfachengestellten bis hin zu Industriekaufleuten sowie Berufen im pflegerischen, technischen bzw. elektrotechnischen Bereich. Weitere zentrale Bestandteile sind das Bewerbungstraining mit der Besprechung von vorab eingesandten Testbewerbungen.
Norbert Hahnefeldt, Berufswahlkoordinator an der Jahn-Realschule Lübbecke ist mit dieser Kombination aus Präsentation, Beratung und Training sichtlich zufrieden. „Dieses Veranstaltungspaket hat für die Schüler der Jahn-Realschule Lübbecke bereits Tradition. Und das spürt man: Die Bereitschaft auf Seiten der Schüler und Eltern vom Know-how der Betriebe zu profitieren, ist hoch, insbesondere dann, wenn auch Azubi’s mit eingebunden werden und wie bei Smurfit Kappa die Schüler zum Thema Bewerbung „coachen“.
Im Rathaus der Stadt Lübbecke werden die Schüler persönlich vom Bürgermeister Witte begrüßt. Er stellt in seiner Ansprache die Vielfalt der beruflichen Tätigkeiten bei der Stadt Lübbecke heraus. Roland Kelle und Frank Haberbosch loben am Ende der Veranstaltung die gute Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler.
So unterschiedlich die vorgestellten Berufe und Berufsfelder sind, so einig sind sich die Betriebe, wenn es um die Qualität dieser Bewerbungen geht: Von den Schülern wird eine ernsthafte, persönliche Bewerbung erwartet. Das Abschreiben von Mustervorlagen verbietet sich damit von selbst. Begriffe wie Teamfähigkeit, Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit und insbesondere das Interesse an einem Unternehmen bleiben Worthülsen, wenn sie nicht glaubhaft belegt werden können. Und Dr. Holger von der Emde ergänzt: „Ca. 50% der Bewerbungen werden aussortiert, weil sie bereits an formalen Vorgaben oder der Rechtschreibung scheitern. Fazit: Eine gute Bewerbung zu erstellen, bedeutet Zeit und Mühe in die Eigen-Werbung zu investieren. Das schafft man nicht in wenigen Minuten.“
Frau Eckel von der Arbeitsagentur bestätigt, was Schüler bei den Präsentationen immer wieder erwähnen: „Es kommt schon mal vor, dass bei den Noten ein Auge zugedrückt wird, wenn der Bewerber gute Sozialkompetenzen wie Zuverlässigkeit und gutes Benehmen zeigt. Von vornherein kaum eine Chance haben allerdings Bewerber mit hohen schulischen Fehlzeiten.“ Ein besorgter Vater weist darauf hin, dass es auch Probleme geben könne, wenn Jugendliche allzu viel im Internet von sich preisgäben. Dass Arbeitgeber das Internet zur Profilgewinnung von Bewerbern einsetzen würden, sei kein Geheimnis.
Das Fazit aller Beteiligten: Arbeitgeber, Schule und Eltern sind gleichermaßen in der Verantwortung für die berufliche Zukunft des Nachwuchses. Bei der Vermittlung von Sozialkompetenzen kommt den Eltern allerdings eine zentrale Rolle zu. Das gleiche gilt für Gespräche mit den Kindern über realistische berufliche Chancen und Ziele. Wird diese Rolle nicht angenommen, werden es Jugendliche trotz berufsvorbereitender Maßnahmen sehr schwer haben, den beruflichen Einstieg zu bewältigen.