Berlin/Kreis-Minden-Lübbecke(mr/gfp).„Wir haben es satt“: Unter diesem Motto stand die Demonstration in Berlin mit rund 30 000 Teilnehmern, die vom Potsdamer Platz bis vor das Kanzleramt zog. Dabei auch 200 Teilnehmer aus dem Kreis Minden-Lübbecke und Schaumburg. Sie waren mit Bussen und Bahn angereist, um für gutes Essen, gute Landwirtschaft für alle, weltweit zu demonstrieren. Organisiert wurde die Fahrt GreenFairPlanet e.V. aus Minden.
Zum 4. Mal führten nach Angaben der Veranstalter „hunderte Bauern und 70 Trecker“ die Menge durch die Bundeshauptstadt, um gegen die Landwirtschaftspolitik der Regierung zu protestieren. Anlass für die Demonstration war die derzeit in Berlin stattfindende Grüne Woche. Die vierte „Wir haben es satt!“-Demonstration hat erneut tausende Menschen auf die Straße gebracht. Erstmalig war der Start auf dem Potsdamer Platz in Berlin und führte am Bundesrat, dem Landwirtschaftsministerium sowie der Vertretung der EU vorbei zum Kanzleramt.
Auffällig: Viele junge Familien und Jugendliche schließen sich der Demo an
Mit Banner, Transparenten und Plakaten ausgestattet im Maiskolben-Ganzkörper-Outfit im Schweinskostüm, im Kunstkuhfell marschieren sie los. Auffällig, wie viele junge Familien und Jugendliche sich bei Sonnenschein, aber ungemütlichen 4 Grad aufgemacht hatten, um gegen Massentierhaltung, Gentechnik und Lebensmittelskandale zu protestieren. Während die Menge demonstriert, verteilen Jugendliche aus Minden und Vlotho mehr als 800 vegane Muffins an der Strecke, die sie während der Aktion „Muffins für die Demo“ gebacken hatten. Aufgerufen zur Back-Party hatte GreenFairPlanet.
„Gut, dass ich mitgefahren bin. Es ist meine erste Demo. Ich habe gedacht, als ich in der Zeitung von der Demo las, ich habe es auch satt, was ich täglich über Tierquälerei und Lebensmittelskandale lese und jetzt melde ich mich an. Mir war schon mulmig, weil ich noch die Gewalt in Hamburg vor Augen hatte. Aber hier war alles friedlich, fröhlich und doch ein Protest. Die Stimmung war schon im Bus gut und es ging auf dem Potsdamer Platz weiter. So viele Menschen, Fahnen, Luftballons ich war überwältigt,“ erzählt Maria Schneider. Die 35 jährige Hausfrau aus Minden hatte ihre Kinder Jan und Leonie mit nach Berlin genommen. Gemeinsam mit vielen anderen haben sie ihre Forderungen für kleine Bauernhöfe und gesunde Lebensmittel an eine Wäscheleine vor dem Kanzleramt gehängt.
Basis für Veränderungen liegt in der Jugendarbeit
„Wir freuen uns besonders, dass wir 50% mehr Bürger erreicht haben als 2013 und es uns wieder gelungen ist, mehr als 30% Jugendliche im Alter von 15-25 Jahre zu mobilisieren. Darunter viele, die zum ersten Mal zur „Wir haben es satt“ Demo mitgefahren sind“, berichtet Elisabeth Schmelzer, Organisatorin. Einen Grund für die hohe Beteiligung sieht sie auch in den
erschütternden Bilder aus agrarindustriellen Mastanlagen in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern, in denen Ferkel bei lebendigem Leib erschlagen werden, da sie als „nicht verwertbarer Überschuss“ gelten. Oder über den skandalösen Umgang mit Wanderarbeiter aus Osteuropa, die in der Schlachtindustrie weniger als 5 € Lohn pro Stunde erhalten und unter Bedingungen wie in vorindustriellen Zeiten leben. Deutschland ist im agrarindustriellen Sektor zum Lohndumpingland Nr. 1 geworden.
Veganer und Milchbauern protestieren gemeinsam für die Agrarwende.
Anne Schlüter aus Minden fand es beeindruckend zu erleben, wie sich alle solidarisch Schulter an Schulter für ein gemeinsames Ziel einsetzen. „Genau das brauchen wir, Zusammenschluss aller Menschen. Schluss mit Einzelkämpfern und Konkurrenzdenken, mit begrenztem Themenspektrum oder unrealistischen Forderungen,“ sagte die 22 jährige Studentin. „Wenn man aus der Provinz kommt, denkt man oft, dass man allein steht mit seinem Widerstand gegen die Agrarlobby. Und dann steigt man aus dem Zug in Berlin und traut seinen Augen nicht. Wunderbar, Tausende, die so denken, wie ich und sich dafür einsetzen. Das macht Mut und gibt Kraft weiter zu machen“.
TTIP im Focus der Demonstranten
Neben Tierwohl und Gentechnik rückten die Unterstützerorganisationen vor allem das geplante Freihandelsabkommen zwischen EU und USA in den Blickpunkt. Das Abkommen schade Verbrauchern und Landwirten gleichermaßen. Premiere feierte auf der Demonstration der Block des Bündnisses »TTIP-Unfairhandelbar«. Die Gegner des geplanten Freihandelsabkommens fürchten, daß im Rahmen der Verhandlungen zentrale Verbraucher-, Agrarproduktions- und Arbeitsschutzstandards der EU einer Angleichung an wesentlich niedrigere US-Normen weichen müssen. Schilder wie »T-TIP des Tages: Chlor-Hühnchen« wiesen darauf hin, daß Hähnchen in US-Schlachthäusern mit Chlorbädern behandelt werden, um Keime abzutöten – eine Praxis, die in der EU verboten ist.
»In Berlin wurde ein gutes Fundament gegen das Freihandelsabkommen gelegt. Das Thema ist nun in der Öffentlichkeit angekommen. Auch im Mühlenkreis werden wir aktiven Widerstand leisten.“ Lothar Schmelzer, 1.Vorsitzender GreenFairPlanet. „Der Koalitionsvertrag der schwarz-roten Regierungskoalition zielt ausdrücklich auf einen „erfolgreichen Abschluss“ der transatlantischen Verhandlungen. Dies werden wir mit geballter Energie verhindern müssen“ mahnt Schmelzer.
Informieren, diskutieren, vernetzen
Nach der Demonstration zog es mehr als 4000 Menschen zum Suppen-Talk in die Heinrich Böll Stiftung. Aufwärmen – Vernetzen – Diskutieren bei Essen, heißen Getränken und Kultur war das Motto bis 18.00 Uhr. „Die Demo war klasse, aber noch mehr hat es mir anschließend in der Heinrich Böll Stiftung gefallen. Menschen aus der ganzen Welt haben ihre Aktionen und Projekte vorgestellt und erzählt, mit welchem Widerstand sie zu kämpfen hatten. Die Geschichten dieser Männer und Frauen waren spannender als jeder Krimi. Natürlich waren wir alle da, als unsere Organisatorin Elisabeth Schmelzer mit Jugendlichen auf der Bühne stand und von ihren Aktionen in Minden erzählte. Ich habe mit vielen Adressen ausgetauscht und Kontakte geknüpft. Gut, dass ich dabei war“ freut sich Jakob Braun.
Um 18.30 Uhr ging es für die Gruppen aus dem Kreis Minden-Lübbecke und Schaumburg züruck.