Kommentar: „Manche sind gleicher“

Ein Kommentar von Jürgen Schnake
„Das ist ja wie Soap Opera!“ Dieser Satz aus dem Nachgang zur gestrigen Ratssitzung ist mir noch nie in den Sinn gekommen – passt aber wie gemalt!
 
Man braucht zwar zwei, drei Folgen, um rein zu kommen und die Charaktere kennen zu lernen, aber dann jagt ein Lacher den nächsten und etliche Episoden enden in einem offenen Cliffhanger.
 
Zu Beginn dieser speziellen Ratssitzung ging mir allerdings ein anderer Satz der Weltliteratur häufiger durch den Kopf: „Einige sind gleicher.“
 
Gleich zu Beginn wollte der stellvertretende Bürgermeister Steinmetz die Niederschrift der letzten Sitzung geändert haben; er fühlte sich falsch zitiert. Kein Problem. Als ich aus demselben Grund dasselbe für die vorletzte Sitzung forderte, wurde dies zwar noch kurz thematisiert – aber abgelehnt.
 
Viel interessanter aber die Antwort auf meine erste Bürgerfrage. Ob denn Philipp Hausdörffer eigentlich vorab eine Genehmigung der Stadt für das ‚Abschleifen‘ des Pflasters an der Tränke bekommen habe. Klare Antwort: Nein.
 
Juergen SchnakeDamit hätten wir es hier mit einer Sachbeschädigung an öffentlichem Eigentum zu tun. Wir erinnern uns: Als Anfang 2012 ein, sagen wir, türknaufgroßes Loch im neuen ZOB erschien, wurde tags drauf zügig Anzeige wegen Sachbeschädigung gegen Unbekannt gestellt. Hier wäre der Täter (und ggf. Komplizen) sogar bekannt gewesen, was eine Strafverfolgung wohl um ein Vielfaches einfacher gemacht hätte.
 
Scheinbar war das auch Herrn Buhre klar, denn meine Frage, ob eine Anzeige erfolgen würde, musste ich nicht mal stellen. Noch mit demselben Atemzug der ersten Antwort wurde dies großzügig ausgeschlossen.
 
Es wäre interessant zu wissen, wo die Grenze (für die Verwaltung) verläuft zwischen zu verfolgender und nicht zu verfolgender Sachbeschädigung. Ob „John“, der mit seinen Graffiti-Kühen die Stadt verschönert und amüsiert, auf eben so viel Rücksicht der Verwaltung hoffen dürfte? Vermutlich nur, wenn er beim Sprayen auch öffentlichkeitswirksam ein Ratsmitglied neben sich hätte…
 
Meine zweite Frage bezog sich auf die Webseite der Stadt. Diese war während der Entschärfung der Fliegerbombe vor einigen Wochen mehrfach ob des Ansturms nicht zu erreichen gewesen. Wie dieser Flaschenhals – auch im Zuge des geplanten Relaunches – erweitert werden solle, wollte ich wissen.
 
Und scheinbar tut sich da was. Ein Umzug in ein neues Rechenzentrum steht wohl an und soll mit mehr Serverkapazität verbunden sein.
 
Nun hätte meine Frage aber nicht nur eine Antwort auf der Hardwareseite ermöglicht. Mein Hinweis, dass die Gemeinde Sulingen seit einigen Wochen neben einem aktiven Facebook- auch einen Google+- und Twitter-Account anbietet, wurde zwar zur Kenntnis genommen, aber mit dem Hinweis auf die Überlastung in der Stelle für Öffentlichkeitsarbeit („Wir schaffen es manchmal schon jetzt nicht, die Homepage aktuell zu halten.“) für Minden negativ beschieden.
 
Nach meinen Informationen und Dafürhalten ist genau diese Stelle aber mehr als reichlich besetzt. Da gehen die Ansichten, was geht und was nicht geht zwischen Verwaltung und mir mal wieder auseinander. Sogar meine ‚Pressestelle‘ – das bin ich selbst 😉 – schafft es lässig, neben den drei genannten auch noch einen Xing-Account zu füllen. Ist der Content erst mal da, braucht das weniger Zeit als eine Kaffeepause. Und für den Content werden die Angestellten in der Öffentlichkeitsarbeit (und der Name hat ja einen Grund 😉 ganz gut bezahlt.
 
In seiner Antwort bezüglich des Relaunches erwähnte Buhre dann noch, dass die Seite „Dritten“ zugänglich gemacht werden solle. Ich vermute, das bedeutet, dass Werbung geschaltet werden soll. Offen gesagt eine Idee, die andere Kommunen schon länger umsetzen, die ich selbst gut finde (wir kommen ja noch zum Thema Haushalt) – und die ich ggf. jetzt mal von meinem Zettel „für später“ streichen kann 😉
 
Nun aber endlich zur eigentlichen Sitzung des Rates. Die war zwar weniger ereignisreich als andere, zeichnete sich aber durch eine überraschend konzentrierte Atmosphäre aus. Über weite Strecken hatten ich tatsächlich – und das war in den letzten Jahren sehr selten der Fall – das Gefühl, in einem Raum mit Erwachsenen zu sitzen, die ernsthaft arbeiten wollen. Selbst der Mann, der mir permanent als Pausenclown des Rates auffällt, Reinhard Kreil, braucht fast genau eine Stunde, bis er den ersten unnötigen Kommentar durch den Raum schickt.
 
Ganz besonders ist mir einmal mehr SBM-Chef Wansing aufgefallen, der jeder, aber auch wirklich jeder Diskussion aufmerksam zu folgen scheint. Als andere schon längst ‚in den Seilen‘ hingen, folgte er Debatten als wären es Wimbledon-Endspiele. Die Hälfte dieser Energie in einigen anderen Gesichtern und der Rat wäre eine echte Institution für Mindener.
 
Thema „Chill-Ticket“: Die Verwaltung musste sich nachträglich die Einführung noch vom Rat genehmigen lassen (kommt unter Buhre ja häufiger mal vor; Stichwort Hauskauf), der Vortragende Michael Jäcke mühte sich sehr redlich, nicht vom „Schill-Ticket“ zu reden. Nachwirkungen des „Promi-Big-Brother“ und die Angst, der Richter könnte auf Freifahrten drängen?
 
Top 8 ist eigentlich ein politischer Selbstläufer: „Beitritt der Stadt Minden als Mitglied zur Fördergesellschaft FH Bielefeld e.V. Sektion Minden“ Schönes Zeichen, das der Lokalpolitiker da setzen kann zu einem kleinen Preis: 250 Euro sollen jährlich fließen. Erwartungsgemäß stimmen auch alle zu. Alle bis auf Anja-Katrin Hampel – die sich enthält. Das hat mich verblüfft, vor allem, da es ein Projekt ‚ihres‘ Bürgermeisters und SPD-Genossen ist. Deshalb habe ich sie nach der Sitzung kurz erschrocken (sorry nochmal, Frau Hampel – ich wollte mich nicht anschleichen – manchmal sitzen hinter Ihnen tatsächlich Gäste) und dann dazu befragt. 
 
Quintessenz: 250 Euro sind 250 Euro – und jeder Euro fehlt uns in der Jugendarbeit. Natürlich kann man auch darüber streiten – aber ich finde es gut. Es ist – und war auch in dieser Sitzung der Fall – oftmals verblüffend, wie der Kämmerer in der einen Minute noch über Millionen-Defizite berichten kann … und in der nächsten wird wieder das (zugegeben: kleine) Füllhorn ausgepackt. 
 
Apropos Kämmerer und Haushalt: Dass es dunkel und düster um die Finanzen in Minden steht, brauche ich wohl nicht mehr in aller Ausführlichkeit zu betonen. Kondensiert hat sich das ganze m.E. in diesem kurzen Dialog zwischen Ulrich Stadtmann von der CDU und Kämmerer Kresse:
 
Stadtmann: „Mir fehlt der Glaube, dass sie zu einem ausgeglichen Haushalt kommen auf diesem Wege.“
 
Kresse: „Auf diesem Weg bis 2020 brauchen wir Entlastung vom Land. Ohne den, glaube ich, ganz ehrlich, werden wir es nicht erreichen.“
 
Vor uns liegen spannende Jahre.
 
Die Befragung des Kämmerers erinnerte übrigens an die Hausaufgabenüberprüfung eines höchstens mittelmäßig motivierten Schülers. Bei fast jeder konkreten Frage schrie seine Körperhaltung förmlich: Ich will hier weg von diesem Pult! Meiner Ansicht nach auch kein gutes Zeichen.
 
„Keine Frau bei MHV“: Ratsmitglied Ulbrich erinnerte die Verwaltung daran, dass der Rat den Auftrag erteilt hätte, eine Frau in den Vorstand der MHV zu bringen oder zumindest eine vorzuschlagen. Aus dem Kopf retournierte Bürgermeister Buhre, der Auftrag an die Verwaltung hätte gelautet: Die Verwaltung möge damit anfangen, darüber nachzudenken, wie man gegebenenfalls eine Frau dort unterbringen könnte. Diese unglaublich schwammige Formulierung, die keinerlei echte Anstrengung nach sich ziehen dürfte, schien ihm sichtlich Freude zu machen. Dass er Frau Ulbrich nicht laut ins Gesicht gelacht hat, war schon fast verwunderlich.
 
Dabei regt sich Ratsmitglied Ulbrich meiner Ansicht nach zu Recht auf. Von den anwesenden Beigeordneten – keine einzige Frau. Von 19 Ortsvorstehern gerade mal drei Frauen. Fraktionsvorsitzende? Nicht, dass ich wüsste…
 
Die ganze Debatte führte dann noch zu der Frage, wer eigentlich die Ideen liefern müsse – Rat oder Verwaltung. Letztendlich führte dies zu einem Ausspruch zum Etatrecht mit den Worten der „historischen Einordnung“. Aus den Reihen der SPD ist das dieser Tage der beste Witz, den Reinhard Kreil gemacht hat. Ich zumindest musste das einzige Mal an diesem Tag laut lachen…
 
Ganz zum Schluss und fast untergegangen dann noch etwas hoch interessantes: Die Linken fragen, ob die Gründung der „liberalen Fraktion“ eigentlich rechtens war. Wir erinnern uns: Auf Kreisebene ist ein ähnliches Bündnis vom Landrat abgeschmettert und dieses vom Verwaltungsgericht auch bestätigt worden. Warum also dürfen dies FDP, BBM und Piraten im Rat? Die Antwort der Verwaltung ist lang und ausführlich, sagt im Kern aber schlicht: passt scho.
 
Aber diese Begründung enthält einen hoch interessanten Satz: „Die FDP hätte auch mit 2 Personen bereits Fraktionsstatus.“ Ganz meine Rede. Ich habe es nicht verstanden und halte es für einen ganz schweren Fehler der Gelben, sich ohne Not derart unter Wert zu verkaufen. Hier wurde ein durchaus intakter – aber leider miserabel kommunizierter – Markenkern aufgegeben. Ich bin mir sicher, dass sich das spätestens bei der nächsten Wahl sehr böse rächen wird. Und das ist nicht gut für Minden – die sehr fundierten, kritischen und, ja, wirtschaftsorientierten Nachfragen im Rat werden wir noch schmerzlich vermissen.

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