
Minden(mr). Am Samstag, den 8. November 2025, fand in der Mindener Innenstadt erstmals ein sogenannter „Marsch für das Leben“ statt. Die Demonstration, bei der christlich-konservative Aktivisten gegen das geltende Recht auf Schwangerschaftsabbruch protestierten, zog als eine ungewöhnliche und skurrile Prozession durch die Stadt.
Die Teilnehmer, unter denen eine Mehrheit männlich war, führten Kreuze und Plakate mit Abbildungen von Föten mit sich. Hinter der Gruppe marschierten junge Männer, die rote Schärpen und ein großes Transparent trugen. Die Veranstaltung in Minden reiht sich in eine Reihe ähnlicher Kundgebungen in Westfalen ein, die in den letzten Jahren eine regionale Ausweitung erfahren haben. Neben dem etablierten „1000-Kreuze-Marsch“ in Münster fanden 2025 auch Veranstaltungen in Städten wie Paderborn und Osnabrück statt.[^5]
Organisatoren und erweiterte Teilnehmergruppen
Laut Anmeldeunterlagen wurde die Kundgebung vom Verein „Christliche Mitte“ veranstaltet, der auch bei den Veranstaltungen in Osnabrück als Organisator auftrat. Bei der Aktion waren zudem Aktivisten der Gruppe „Sundays for Life“ auf dem „Kleinen Domhof“ präsent, die bereits eine ähnliche Demonstration in Paderborn im Sommer angemeldet hatte.
Besondere Aufmerksamkeit erregte eine Gruppe junger Männer, die rote Schärpen trugen, die Symbole der Organisation „Deutsche Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum e. V.“ (TFP) zeigten.
Einordnung der TFP als ultrakonservative Bewegung
Die TFP ist eine Organisation, die innerhalb des streng katholisch-traditionalistischen Spektrums angesiedelt ist. Sie tritt für eine hierarchische Gesellschaftsordnung ein und lehnt Gleichheitsvorstellungen, Feminismus und fortschrittliche gesellschaftliche Bewegungen ab.
Experten ordnen die TFP als ultrakonservativ ein und führen an, der Verein argumentiere offen für die Rückkehr zu einer „katholischen Hierarchie“ und lehne die sogenannte „Gleichheitsideologie“ ab – darunter die Gleichheit von Frauen und Männern sowie die von Arbeitern und Unternehmern. Die TFP vertrete demnach vorreformatorische und monarchistische Strukturen.[^1]
Des Weiteren ordnet die Polizei Hannover den Verein in einem Bericht als „erzkonservativ christlich“ ein und betont, es lägen keine Hinweise auf einen potenziell rechtsextremistischen Hintergrund vor, weshalb der Verein auch nicht Gegenstand einer permanenten staatsschutzpolizeilichen Befassung sei.[^2]
Recherchen legen personelle Überschneidungen und direkte Verbindungen mit dem Umfeld von Akteuren der AfD nahe, unter anderem mit der Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch, die als Unterstützerin des TFP-Netzwerks gilt. Die TFP unterhält zudem Verbindungen zu gleichnamigen Organisationen in den USA, die dort einflussreiche Akteure in der sogenannten „Pro-Life“-Bewegung sind.
Störungsfreier Verlauf, aber Spannungen
Der Ablauf des Marsches in Minden gestaltete sich weitgehend störungsfrei. Eine angemeldete Gegendemonstration fand nicht statt. Es kam jedoch zu dokumentierten Spannungen zwischen Teilnehmern und einem Team von Fotografen eines mutmaßlichen Antifa-Recherche Netzwerks, das sich selbst als „Hinterlandrecherche“ bezeichnet und die Veranstaltung mit einem „Dokumentationsteam“ begleitet hat, so formuliert in einer übermittelten „Pressemitteilung“ ohne weitere Kontaktdaten.
Nach Angaben der „Hinterlandrecherche“ soll es zu einer Bedrängung eines Fotografen des besagten „Dokumentationteams“ durch eine mutmaßliche Anmelderin gegeben haben. Darüber hinaus sollen mehrere Demonstrationsteilnehmer das Dokumentationsteam gezielt gefilmt haben, was von den Betroffenen als Versuch der Einschüchterung oder Störung der Dokumentationstätigkeit gewertet wurde.
Internationale Vernetzung und politische Relevanz
Die Bewegung der Abtreibungsgegner hat ihre Wurzeln in den USA und ist seit Jahrzehnten auch in Europa aktiv. Beobachter in Deutschland registrieren seit einigen Jahren eine verstärkte Professionalisierung und eine stärkere internationale Vernetzung dieser Anti-Abtreibungsorganisationen.
Hierbei treten US-amerikanische Verbände, wie die „Alliance Defending Freedom“ (ADF), gezielt in Europa auf, um Einfluss auf politische Debatten und Gesetzgebungsverfahren zu nehmen. Die ADF, die sich als christliches Anwaltsnetzwerk versteht, konzentriert ihre Lobbyarbeit in Europa auf den „Schutz der Menschenrechte auf Religionsfreiheit und der Redefreiheit“ sowie die Verteidigung des Rechts auf Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod.[^3] Ihre strategische Prozessführung zeigt sich unter anderem im Fall deutscher Homeschooler vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).[^4]
In Deutschland wird zudem eine engere Zusammenarbeit zwischen christlich-konservativen Gruppen und konservativen Flügeln der CDU sowie Akteuren im Umfeld der AfD verzeichnet. Der „Marsch für das Leben“ in Minden zeigt damit die lokale Ausprägung einer international vernetzten Bewegung, die sich gegen die derzeitig aktuelle gesetzliche Regelung des Schwangerschaftsabbruchs richtet.
Quellenverzeichnis
- [^1]: Bonner Internationales Zentrum für Konfliktforschung (BICC, 2023): Wissenschaftliches Kurzgutachten zur Einordnung christlichen Fundamentalismus. Gutachten RELIGION UND MACHT, S. 37. (sowie ergänzende Informationen von Lateinamerika Nachrichten). Link zum Gutachten
- [^2]: T-Online (01.08.2024): Bericht über eine TFP-Kundgebung in Hannover; zitiert die Polizei Hannover, die den Verein als „erzkonservativ christlich“ einordnet. Link zum T-Online Bericht
- [^3]: Alliance Defending Freedom (ADF International): Eigene Darstellung der Organisation. Link zur ADF Website
- [^4]: LTO (09.04.2019): Bericht über die strategische Prozessführung von ADF International vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Link zum LTO-Bericht
- [^5]: Deutschlandfunk (22.09.2025): Bericht über Tausende Teilnehmer beim „Marsch für das Leben“ in Berlin und Köln. Link zum Deutschlandfunk-Bericht
- [^5] Fortsetzung: Die Tagespost (26.09.2019): Bericht zur Rekordteilnahme von über 8.000 „Lebensrechtlern“ beim „Marsch für das Leben“ in Berlin (2019) mit der Einordnung als Treffen der Lebensrechtsbewegung. Link zur Tagespost