Lübbecke(mr/jw). Nach drei Stunden verlässt Mahmoud Abdalla den Operationssaal am Krankenhaus Lübbecke-Rahden. Er hat mit einem Team aus drei Chirurgen einen Oberschenkelbruch bei einem schwer erkrankten Patienten operativ versorgt. Trotz Anspannung und körperlicher Anstrengung bei dieser Operation sieht Abdalla danach fast entspannt und sehr zufrieden aus. Er fühlt sich wohl an diesem Ort, den er bald nach fünf Jahren mit einem lachenden und einem weinenden Augen verlässt. Er geht zurück in seine Heimat, die er vor zwölf Jahren verließ, um zu lernen.
Heimat heißt für Abdalla Libyen
Heimat bedeutet für den 43-jährigen Arzt Sabha, eine Stadt mit circa 94.000 Einwohnern, in der die durchschnittliche Tagestemperatur im Sommer bei 42 Grad Celsius liegt. Sabha liegt im Süden von Libyen, einem Staat in Nordafrika. Seit vor zwei Jahren eine Revolution im Land ausbrach, kommt Libyen nicht mehr aus den Schlagzeilen. Das Land gilt nach europäischen Maßstäben nicht als sicher. Vor zwölf Jahren verlässt Abdalla für seine medizinische Weiterbildung sein Land. Er will weiter lernen und entschließt sich, nach sechs Jahren als Arzt für Bauchchirurgie und Orthopädie in Libyen nach Deutschland zu gehen. Die Sprachschule des Goethe-Instituts in Mannheim wird für die ersten acht Monate sein Anlaufpunkt, da sein Medizinstudium in der Hauptstadt Tripolis ausschließlich in Englisch stattfand. Im Rheinland arbeitet er danach in der Bauch- und Gefäßchirurgie und Orthopädie, sein Herz schlägt jedoch für die Unfallchirurgie.
Abdalla entdeckt 2008 die Stellenanzeige von Dr. Bernd Hillrichs, Chefarzt der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie am Krankenhaus Lübbecke-Rahden.
„Wann können Sie bei uns anfangen?“ fragt Hillrichs den Bewerber Abdalla. Schon bereits während des ersten Gesprächs ist sich Hillrichs sicher, den Richtigen gefunden zu haben. „Mahmoud Abdalla ist ein wichtiges und hochgeschätztes Mitglied unserer Klinik und für alle eine große Bereicherung, medizinisch wie auch menschlich. Wir verlieren einen sehr geschätzten Kollegen in unserem Team. Auch durch ihn haben wir die Kultur eines fremden Landes kennen- und besser verstehen gelernt“ sagt Hillrichs.
Krankenhaus wie eine Familie
„Das Krankenhaus Lübbecke war für mich wie ein Teil meiner Familie. Es war viel mehr als nur ein Arbeitsplatz, es war wie ein Stück zu Hause“ erklärt Abdalla. „Es gibt keine Grenzen zwischen Chefarzt und den anderen Arztkollegen. Wir konnten zu jeder Zeit Fragen stellen, denn alle haben sich als Teil des Teams verstanden“ erklärt Abdalla weiter. „Und genau aus diesem Grund habe ich auch so viel gelernt. Gerade in einem Krankenhaus wie Lübbecke ist die Arbeit sehr intensiv, weil durch das Traumanetzwerk auch Schwerverletzte behandelt werden. Die Dienste als Notarzt waren ebenso lehrreich. Abdalla drückt es so aus: „In Lübbecke habe ich ein „Knochengefühl“ entwickelt“.
Dieses Wissen und die vielen positiven Erfahrungen nimmt er jetzt mit. Profitieren werden davon die Patienten im Krankenhaus in Sabha und die Studenten an der Universität, für die er zukünftig arbeiten wird. „Die ärztliche Versorgung in Libyen ist ganz anders. Da kommt kein Patient wegen eines Zeckenbisses“ sagt Abdalla. „Da geht es meistens um Leben und Tod oder schwere Verletzungen.“
Doch die fünf Jahre am Krankenhaus Lübbecke-Rahden „waren für mich die intensivste und schönste Zeit meines Berufslebens“, sagt Abdalla zufrieden. In seiner Lübbecker Zeit ist ihm übrigens nie Fremdenfeindlichkeit begegnet.
Die Familie wartet – deutsche Tugenden werden mitgenommen
Prägend war diese Zeit auch, weil seine vier Kinder in Deutschland zur Welt kamen, das Jüngste gerade erst im Juli dieses Jahres. „Familie ist für mich ganz wichtig. Ich freue mich, bald mit meinen Eltern, Onkeln, Tanten und Cousinen Zeit verbringen zu können. Es war klar, dass ich irgendwann mit meiner Familie wieder zurück nach Libyen gehen werde. Dass mir der Abschied aus Lübbecke allerdings so schwer fällt, habe ich nicht gedacht“ so Abdalla weiter.
Dazu nimmt er viele deutsche Tugenden mit nach Nordafrika: Genauigkeit, Disziplin, Pünktlichkeit und das ausgeprägte Qualitätsempfinden. „Hier werden keine halben Sachen gemacht. Entweder ganz oder gar nicht. Und immer wird alles gegeben“ sagt Abdalla am Schluss. Anfang Oktober geht es via Flugzeug zurück in die Heimat.